Neuerburg gerät in ein Zeitloch
von Johannes Menze
Kurz vor der Mittagspause öffnete sich völlig überraschend ein Zeitfenster auf der Neuerburg. Mitten im Jungenwaschraum krochen zwei ausgewählte Halbwüchsige, Johanna und Jakob, in einen Geheimgang, um modernste Technik installieren zu können. Entlang der wireless lane führte die Route in den Untergrund. Staubwolken vernebelten die Sicht, Masken verschafften den Eroberern - oder sollte man besser Entdecker sagen? – den zweiten Atem und den Hauch der Geschichte. Plötzlich purzelten die beiden ins Zeitloch und buddelten voller Elan in der Historie und förderten sie ans Tageslicht.
Als erstes stießen Jakob und Johanna auf eine Zigarettenschachtel mit 12 Stück zu einer Mark. Dann tauchten diverse luxemburgische Armeeüberbleibsel auf: Corned beef hash (von minderer Qualität, behaupten die Gedienten, verpackt 9/44 – drei Monate nach der Invasion), Zahnpastatube und eine Schuhcremebüchse, bei der die Farbe nicht mehr identifizierbar war.
Spannend waren die Papierschnipsel aus den späten vierziger Jahren. Eine Seite Luxemburger Wort, eine Zeitungsausgabe von Glaube und Leben, Packpapier mit Soldatenadressen - und ein Liebesbrief auf luxembourger Platt. Ein großherzöglicher Burgbesetzer schrieb seiner Liebsten und ließ seine Mutter und Vater grüßen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Luxemburger Garnison in der Burg einquartiert.
Der Altbürgermeister stellte sofort das Jäten ein, wechselte von der Sonnenterrasse in den Waschraum und bestaunte in großer Runde die Exponate. Nach der ersten Welle der Begeisterung und nachdem die Funde samt den stolzen Findern-Kindern fotografiert worden waren, baute sich der kleine Jakob vor ihm auf und sprach: „Ich habe noch nie einen Bürgermeister in echt gesehen!“ Willi Hermes lacht und erläutert, dass er kein Bürgermeister mehr sei. Darauf Jakob: „Ich habe auch keine früheren Bürgermeister gesehen.“ Großes Gelächter & Freunde.
Der Zeitsprung zurück gelang auch deswegen, weil der Altbürgermeister ein Foto seiner Tochter mit dem Fußball-Pokal herumzeigte, dass im Weltmeisterrückflugzeug geknipst worden war. Anja Kling, Stadtbürgermeisterin schaute nachmittags mit ihren Kindern auf der Neuerburg vorbei und war auch beeindruckt von den Funden, die jetzt nicht zu einer elementaren Wendung in der Stadtburg-Chronik führen werden. Aber dass die Burggeschichte plötzlich sehr gegenständlich wird, sorgt für Aufregung. NIcht nur bei Johanna und Jakob.
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